ZG06050810
Publikationsdatum: 2006-05-08
Predigt Benedikts XVI. zum 500-jährigen Bestehen der Schweizergarde (6. Mai 2006)
"Ein Schweizergardist zu sein bedeutet, Christus und seiner Kirche vorbehaltlos zu folgen – in der Bereitschaft, für sie das eigene Leben hinzugeben"
ROM, 8. Mai 2006 (ZENIT.org).- Wir veröffentlichen die Predigt, die Papst Benedikt XVI. am Samstag während des Festgottesdienstes zur 500-Jahr-Feier der Gründung der Schweizergarde im Petersdom gehalten hat.
Im Namen seiner Vorgänger bedankte sich der Heilige Vater bei der päpstlichen Leibgarde für ihren unermüdlichen Dienst. Ausgehend von den Schriftlesungen des Tages erinnerte er die Soldaten und alle Gläubigen an die Voraussetzungen für den wahren Friedensdienst und verwies dabei auf die Bedeutung der Tugend der Weisheit, vor allem aber auf die persönliche Freundschaft mit Jesus.
"Wer sich für Jesus entscheidet, findet den größten Schatz, die kostbare Perle, die allen anderen Dingen Wert verleiht, denn sie ist die fleischgewordene göttliche Weisheit, die in die Welt gekommen ist, damit die Menschheit das Leben in Fülle haben. Und wer die überragende Güte, Schönheit und Wahrheit Christi, in dem die ganze Fülle Gottes wohnt, aufnimmt, der tritt zusammen mit ihm ein in sein Reich, wo die Wertmaßstäbe dieser Welt verfallen und sogar auf den Kopf gestellt werden."
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Liebe Brüder und Schwestern!
In diesem Jahr begehen wir das Gedächtnis einiger bedeutsamer Ereignisse aus dem Jahr 1506, vor genau 500 Jahren: der Auffindung der Skulptur des Laokoon, auf die der Ursprung der Vatikanischen Museen zurückgeht; der Grundsteinlegung dieser Peterskirche, die auf der konstantinischen Basilika errichtet wurde, und der Entstehung der Päpstliche Schweizergarde. Heute wollen wir in besonderer Weise an dieses [zuletzt genannte] Ereignis erinnern.
Am 22. Januar vor 500 Jahren kamen die ersten 150 Gardisten auf den ausdrücklichen Wunsch von Papst Julius II. hin nach Rom und traten in seine Dienste im Apostolischen Palast. Dieser Spezialkorps wurde bald dazu gerufen, seine Treue zum Papst unter Beweis zu stellen: Im Jahr 1527 wurde Rom eingenommen und geplündert, und am 6. Mai fielen 147 Schweizer Gardisten bei der Verteidigung Clemens VII. Die übrigen 42 konnten ihn in der Engelsburg in Sicherheit bringen. Warum denken wir heute an Ereignisse, die so weit entfernt sind und in einem so ganz anderen Rom und Europa stattgefunden haben als dem heutigen? Vor allem, um dem Korps der Schweizergarde die Ehre zu erweisen. Seit damals wurde er immer in seinem Auftrag wiederbestätigt, selbst im Jahr 1970, als der Diener Gottes Paul VI. alle anderen Militärkorps des Vatikans auflöste. Zugleich bringen wir uns aber diese historischen Ereignisse vor allem deshalb in Erinnerung, um daraus im Licht des Wortes Gottes eine Lehre zu ziehen. Die Lesungen aus der Bibel der heutigen Liturgie kommen uns dabei entgegen, und der auferstandene Christus, den wir in der Osterzeit mit besonderer Freude feiern, öffnet uns den Geist für das Verständnis der Schrift (vgl. Lk 24,45), damit wir den Plan Gottes erkennen und seinem Willen folgen können.
Die erste Lesung stammt aus dem Buch der Weisheit, das nach der Überlieferung dem großen König Salomo zugeschrieben wird. Dieses Buch ist ein einziger Lobpreis auf die göttliche Weisheit, die als der kostbarste Schatz dargestellt wird, den der Mensch ersehnen und entdecken kann; als das höchste Gut, von dem alle anderen Güter abhängen. Für die Weisheit lohnt es sich, auf alles andere zu verzichten, denn nur sie gibt dem Leben seinen letzten Sinn – einen Sinn, der sogar den Tod überwindet, weil die Weisheit in eine wirkliche Gemeinschaft mit Gott einführt.
Die Weisheit, so heißt es im Text, "schafft Freunde Gottes" (Weish 7,27) – eine wunderschöne Formulierung, die einerseits den "gestaltenden" Aspekt hervorhebt, dass nämlich die Weisheit die Persönlichkeit formt, die sie durch das innere Wachstum zu ihrer vollen Reife gelangen lässt, und die zugleich besagt, dass diese Fülle des Lebens in der Freundschaft mit Gott besteht, in der innigen Übereinstimmung mit seinem Sein und seinem Wollen. Der innere Ort, in dem die göttliche Weisheit wirkt, ist jener, den die Bibel das "Herz" nennt; er bildet den geistigen Mittelpunkt der Person. Darum haben wir im Refrain des Antwortpsalms gebetet: "Gib uns, o Gott, die Weisheit des Herzens!"
Der Psalm 89 [90] erinnert uns dann daran, dass diese Weisheit demjenigen gewährt wird, der lernt, seine "Tage zu zählen" (12), das heißt demjenigen, der erkennt, dass alles andere im Leben flüchtig, vergänglich, hinfällig ist und dass sich der sündige Mensch vor Gott nicht verstecken kann und darf, sondern sich als das erkennen muss, was er ist: als Geschöpf, das des Erbamens und der Gnade bedarf. Wer diese Wahrheit akzeptiert und sich darauf vorbereitet, die Weisheit aufzunehmen, der empfängt sie als Geschenk.
So lohnt es sich also, zugunsten der Weisheit auf alles zu verzichten. Dieses Thema des "Loslassens", um zu "finden", steht im Zentrum des Abschnittes aus dem 19. Kapitel des Matthäus-Evangeliums, den wir soeben gehört haben. Nach der Episode vom "reichen Jüngling", der nicht den Mut besaß, sich von seinem "großen Vermögen" zu trennen, um Jesus nachzufolgen (vgl. Mt 19,22), fragt der Apostel Petrus den Herrn, welchen Lohn sie, die Jünger, erhalten werden, die "alles verlassen" haben, um bei ihm zu bleiben (vgl. Mt 19,27). Die Antwort Christi offenbart die grenzenlose Weite seines Herzens: Er verspricht den Zwölfen, dass sie an seiner Herrschaft über das neue Israel teilhaben werden; dann sichert er allen zu, dass "jeder, der um seines Namens willen" die irdischen Güter "verlassen hat", dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen wird (vgl. Mt 19,29).
Wer sich für Jesus entscheidet, findet den größten Schatz, die kostbare Perle (vgl. Mt 13,44-46), die allen anderen Dingen Wert verleiht, denn sie ist die fleischgewordene göttliche Weisheit (vgl. Joh 1,14), die in die Welt gekommen ist, damit die Menschheit das Leben in Fülle haben (vgl. Joh 10,10). Und wer die überragende Güte, Schönheit und Wahrheit Christi, in dem die ganze Fülle Gottes wohnt (vgl. Kol 2,9), aufnimmt, der tritt zusammen mit ihm ein in sein Reich, wo die Wertmaßstäbe dieser Welt verfallen und sogar auf den Kopf gestellt werden.
Eine der schönsten Definitionen des Reiches Gottes finden wir in der zweiten Lesung, einem Text, der zum ermahnenden Teil des Römerbriefs gehört. Nachdem der Apostel Paulus die Christen ermahnt hat, sich immer von der Liebe leiten zu lassen und in der Schwachheit nicht zum Ärgernis Anlass zu geben, erinnert er sie daran, dass das Reich Gottes "Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" ist (Röm 14,17), und fügt hinzu: "Wer Christus so dient, wird von Gott anerkannt und ist bei den Menschen geachtet. Lasst uns also nach dem streben, was zum Frieden und zum Aufbau der Gemeinde beiträgt" (Röm 14,18-19).
Die "Werke des Friedens" sind ein synthetischer und vollendeter Ausdruck der biblischen Weisheit im Licht der Offenbarung Christi und seines Heilsgeheimnisses. Wer in Christus die fleischgewordene Weisheit erkannt und für ihn alles andere verlassen hat, wird in der Gemeinde und inmitten der Welt ein "Arbeiter des Friedens", das heißt, er wird Samenkorn des Reiches Gottes, das schon gegenwärtig ist und auf seine vollkommene Manifestation zugeht. In der Perspektive des Binoms Weisheit-Christus bietet uns das Wort Gottes deshalb eine vollendete Sicht des Menschen in der Geschichte: Wer sie, fasziniert vom Reich Gottes, sucht und in Christus findet, der verlässt alles für ihn und erhält dafür die unschätzbare Gabe des Reiches Gottes; der lebt inmitten der Kirche das Zeugnis der Liebe, weil er sich Mäßigung, Klugheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit – die "Kardinaltugenden" – aneignet.
Man könnte sich fragen, ob diese Sicht des Menschen nicht auch ein Lebensideal für die Menschen unserer Zeit sein kann, vor allem für die Jugendlichen. Dass das möglich ist, zeigen die unzähligen Zeugnisse des persönlichen und gemeinschaftlichen christlichen Lebens, an denen das durch die Geschichte pilgernde Gottesvolk auch heute reich ist.
Unter den vielfältigen Ausdrucksformen der Gegenwart der Laien in der katholischen Kirche findet sich auch jene ganz einzigartige der Päpstlichen Schweizergarde: Es handelt sich um junge Männer, die von der Liebe zu Christus und zur Kirche motiviert sind und sich so in den Dienst des Nachfolgers Petri stellen. Für einige von ihnen ist die Zugehörigkeit zum Korps der Garde zeitlich begrenzt, für andere verlängert sie sich so, dass sie zu einer Entscheidung für das ganze Leben wird.
Für einige, und das sage ich mit großer innerer Freude, hat der Dienst im Vatikan die Antwort auf die Berufung zum Priester- oder Ordensleben reifen lassen. Ein Schweizergardist zu sein bedeutet aber für alle, Christus und seiner Kirche vorbehaltlos zu folgen – in der Bereitschaft, für sie das eigene Leben hinzugeben. Der aktive Dienst mag zu einem Ende kommen, im Innern aber bleibt man immer ein Schweizergardist. Das haben die ungefähr achtzig Ex-Gardisten zeigen wollen, die vom 7. April bis zum 4. Mai einen außerordentlichen Marsch von der Schweiz nach Rom gemacht haben und größtenteils der Via Francigena folgten.
Sie und alle Schweizergardisten will ich erneut aus ganzem Herzen grüßen. Ich wende mich auch an die eigens aus der Schweiz angereisten Autoritäten und an die anderen zivilen und militärischen Autoritäten; an die Kapläne, die mit dem Evangelium und der Eucharistie den täglichen Dienst der Gardisten belebt haben, wie auch an die zahlreichen Familienangehörigen und Freunde.
Liebe Freunde, ich widme diese Eucharistiefeier, die den geistlich gesehen bedeutendsten Moment eurer Feierlichkeiten darstellt, in besonderer Weise euch und den Verstorbenen eures Korps. Nährt euch vom eucharistischen Brot und seid in erster Linie Männer des Gebets, auf dass die göttliche Weisheit aus euch echte Freunde Gottes und Diener seines Reichs der Liebe und des Friedens mache.
Im Opfer Christi nimmt der Dienst, der in diesen 500 Jahren von eurer großen Schar geleistet worden ist, an Bedeutung und Wert zu. Ich mache mich im Geist zum Interpreten jener Päpste, denen euer Korps im Lauf der Jahrhunderte treu gedient hat, und bringe euch gegenüber den verdienten und aufrichtigen Dank zum Ausdruck, während ich euch im Blick auf die Zukunft dazu auffordere, "acriter et fideliter" – "mit Mut und Treue" – weiterzugehen. Die Jungfrau Maria und eure Schutzpatrone, der heilige Martin, der heilige Sebastian und der heilige Nikolaus von der Flüe, mögen euch beistehen, damit ihr eure tägliche Arbeit mit großzügiger Hingabe verrichtet und euch dabei stets vom Geist des Glaubens und der Liebe zur Kirche beleben lässt.
[ZENIT-Übersetzung aus dem Italienischen; © Copyright 2006 des Originals – Libreria Editrice Vaticana]
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